Der Künstlerverbund im Haus der Kunst München e.V. widmet seine diesjährige Ausstellung vom 7. bis 21. September einem hochspannenden gesellschaftlichen, aber auch politischen Thema. Unter dem Titel INTO THE BUBBLE thematisieren 21 Künstler und Künstlerinnen zwischen Skulptur, Performance und Malerei eine ästhetische Reflexion des Zeitgeistes. Im Interview dazu die beiden Kuratoren der Ausstellung im Haus der Kunst, Timur Dizdar und Stefan Scherer.

 

 

Schon der Titel der diesjährigen Ausstellung macht sehr neugierig. Welche Idee steht dahinter?

 

Timur Dizdar

Ich wollte eine Ausstellung machen, die mich selbst interessiert. Ich bin oft fassungslos und überwältigt von vielen schlimmen Nachrichten. Ich dachte mir: krass, in welcher Blase der Idylle ich hier lebe! Und dann kommt das alles in diese private privilegierte Welt hinein, die Bilder aus den Nachrichten begleiten mich in den Schlaf. Das brachte mich eigentlich zu einer eigenen künstlerischen Idee. Als ich dann das Konzept im Künstlerverbund vorgestellt hatte, war schnell klar, ich sollte die Ausstellung kuratieren. Meine eigene Idee setze ich aber erstmal nicht um.

 

Stefan Scherer

Mir erscheint der Titel INTO THE BUBBLE wie ein Synonym für gesellschaftliche Räume, Sphären oder Blasen und der Möglichkeit als Individuum, Gruppe oder Netzwerk aus Ihnen heraus oder in sie hineinzuagieren. Die Idee für uns war dann, ein möglichst breites Spektrum künstlerischer Umsetzungen dieses Phänomens und ihre Erscheinungsformen zusammenstellen zu können.

 

 

Was führt Eurer Meinung dazu, dass immer mehr Menschen eigene Schutz- und Rückzugsorte bewusst suchen? Und was hat das für Folgen?

 

Timur Dizdar

Wir Menschen streben eigentlich schon immer nach Schutzräumen. Wir sind eine hilflose Spezies in den Weiten des Weltalls und fühlen uns auf einer Scheibe unter der Himmelsglocke wohler als auf einer Kugel im Universum. Wir brauchen Rückzugs – und Schutzorte, besonders wenn wir sehen, wie fragil wir sind. Ich denke, wir hätten sonst nicht die Kapazität, das alles zu verarbeiten. Wenn es zu viel ist, bleibt das Mitgefühl auf der Strecke, wir würden noch mehr verrohen. Deshalb finde ich eigentlich den Rückzug auch gut.

 

Stefan Scherer

Schutz und Rückzug ist überlebenswichtig und so alt wie die Menschheit. Die besonderen Herausforderungen unserer Informationsgesellschaft aber und insbesondere ihre Digitalisierung bieten völlig neue Formen von Rückzug, Schutz und Eskapismus. Die Folge sind das Aufkommen „alternativer Realitäten“ in algorithmisch gesteuerten Echokammern und damit die Isolation in der eigenen Informationswelt. Ich würde auch weniger von bewusster Suche sprechen. Es ist beim vorherrschenden Überangebot an digitalen Bubbles m. E. mehr ein Unversehens-Hineingeraten. Treibende Kräfte sind aber sicher die Überforderungen in der Informationsbewältigung unserer modernen Gesellschaft und die damit einhergehenden Erschütterung von Identität und traditionellen Werten.

 

 

Wie setzt sich die zeitgenössische Kunst mit diesem Thema auseinander, könnt Ihr ein paar Beispiele nennen? Was wird das Publikum in der Ausstellung INTO THE BUBBLE zu sehen bekommen?

 

Timur Dizdar

Ich sehe diese Thematik zum Beispiel bei Matthew Barney, er spielt mit den Grenzen des Körpers, mit der Fragilität, dem Weichen und Harten, eingebettet in mythologische Geschichten, ich bin ein großer Fan von Barney. Aber natürlich auch Heidi Bucher. An diese Ästhetik habe ich gedacht, als ich das Konzept geschrieben habe. Mit den Arbeiten von Julia Lohmann bekommen Raum und Masse völlig neue Dimensionen, durch das Transluzente der Algen und das im Prinzip Lebendige der Häute ihrer Skulpturen. Aber auch bei Ngalala Yaba finde ich das Material Pappmaché sehr interessant. Diese dünne Schicht aus gebrauchtem Papier, geformt zu etwas zwischen Kunst und Möbel. Wunderbar treffend; wenn ich denke, es sind Zeitungen und Rechnungen, aus denen er formt, alles, was ihm im Alltag begegnet. Dann gibt es die Arbeiten, die mich zu meiner Ruhe bringen können, wie zum Beispiel Alexander Steig mit der kontemplativen Videoinstallation im closed circuit. Schön und vielleicht auch beunruhigend, wie so vieles. Auch Susanne Wiegner mit dem Animationsfilm Backdrop trifft dieses Thema sehr.

 

Stefan Scherer

Es ist ja nicht so, dass die Künstler von INTO THE BUBBLE direkt auf dieses Thema zusteuerten. Vielmehr vermitteln die Arbeiten eher spielerisch und assoziativ die Atmosphäre oder das Lebensgefühl einer Welt sozialer, digitaler oder auch ganz direkt organischer Blasen. So lädt beispielsweise Karoline Vocke die Besucher in ihre transparente Kuppel zu einem offenen, wie auch immer sich entwickelnden Gespräch. Von außen betrachtet erscheint die ganze Inszenierung wie die lebendige Verbildlichung einer sozialen Blase. Die Fotografien von Rupert Jörg und Adidal Abou-Chamat thematisieren sehr persönliche Lebenswelten, die zwischen Isolation, Freiraum, Identität und Abgrenzung changieren. Insgesamt bietet die ganze Bandbreite der Ausstellung in Malerei, Videos, Installationen und Skulpturen dem Publikum die ästhetische Erfahrung eines von sozialen Blasen und Netzwerken geprägten Zeitgeistes.

 

 

Welchen Beitrag leistet Kunst generell mit Blick auf gesellschaftliche Themen? Was kann sie bewirken?

 

Timur Dizdar

Kunst muss nichts bewirken. Sie wirkt, meine ich, indem sie gemacht wird. Damit ist sie passiv. Sie wird von Menschen gemacht und gemocht - oder nicht gemocht, dadurch löst sie im besten Fall Emotionen aus, die vielleicht interessant sind. Kunst muss einfach da sein.

 

Stefan Scherer

Grundsätzlich kann Kunst einen Beitrag zu gesellschaftlichen Themen leisten. Es ist aber nicht ihre Aufgabe. Ich halte Zweckfreiheit für ihr höchstes Gut und bedaure die zunehmende Tendenz aus Kunstausstellungen sozialpädagogische Veranstaltungen zu machen. Wenn sie aber über ästhetische Erfahrung und emotionales Erleben den Betrachter für gesellschaftliche oder politische Themen sensibilisiert, so tut sie das oft tiefer und nachhaltiger als ambitionierte Belehrungen.

 

 

Zur Eröffnung am 6. September spielt die Musikkapelle der Uttinger Blasmusikfreunde. Warum gerade eine bayerische Blaskapelle? Welche Idee steht dahinter?

 

Timur Dizdar

Ich mag Überraschungen und ich glaube, damit hätte fast niemand gerechnet. Die Bayerische Tradition der Blasmusik ist natürlich auch ein Symbol der Blase. Das Stück, das sie spielen, ist ein berühmtes Werk der Romantik. Außerdem wollte ich einfach ein bisschen Spektakel bei der Eröffnung.

 

Stefan Scherer

Ich denke, dass Timurs Idee einen unterhaltsamen, vielleicht sogar etwas ironischen Auftakt der Ausstellung darstellen soll. Die bayerische, uniformierte Kapelle ist das Klischee von Tradition und Heimatverbundenheit und damit ein Sinnbild von Sicherheit und Geborgenheit in der Gruppenidentität. Sie ist optisch und akustisch eine Art kultureller Prototyp der modernen sozialen Blase.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

(Das Interview wurde im August 2024 per E-Mail geführt.)
von Maren Martell