Lina Zylla bewegt sich zwischen Malerei, Klang, Skulptur und Raum. Ihre Arbeiten entstehen in offenen, oft performativen Prozessen, in denen Stimme, Sound-Loops, Field Recordings und malerische Gesten ineinandergreifen. Malerei erscheint hier nicht als abgeschlossenes Bild, sondern als räumliches Gefüge, das Instabilität und Transformation sichtbar macht. Der Ausstellungsraum wird zum Resonanzkörper, in dem Bild, Klang und Bewegung in neue Konstellationen treten.
Häufig bildet die Stimme den Ausgangspunkt. Atemrhythmen, gesungene oder gesprochene Sequenzen und live erzeugte Loops verdichten sich zu akustischen Schichten, die Atmosphären zwischen Präsenz und Erinnerung eröffnen. Klang wirkt dabei nicht als Begleitung, sondern als stoffliche Kraft, die Zeichnung, Relief und Raum strukturiert. Linien und Flächen entstehen als unmittelbare Antwort auf das Akustische.
Ihre skulpturalen Arbeiten reflektieren die Materialität von Erinnerung. Reliefs aus Latex oder Keramik zeigen Oberflächen voller Eindrücke, Faltungen und Brüche, fragile Häute und sedimentartige Schichten, die Spuren von Prozess und Transformation tragen. Auch Glas und Textilien fungieren als Speicher von Geste, Abdruck und Klang. Die Glaszeichnungen folgen einer Logik des Widerstands: Linien scheinen in die Oberfläche gekerbt, das Material selbst wird Archiv der Bewegung. Zylla versteht diese Arbeiten als Reliefs der Ähnlichkeit – Objekte, die zugleich eigenständig bestehen und in raumbezogenen Konstellationen wirken.
Einzelne Werkgruppen entfalten sich in autonomen Serien. Dazu zählen Dreamer (Latex), die Keramikreihe Shadows oder die Glaszeichnungen. Mit DARLINGS entwickelte Zylla eine Werkserie aus Glas, die in einem Dialog mit Malereien, den Bat experiences, steht. Diese Malereien beziehen sich auf Thomas Nagels Überlegungen zu Qualia – die Frage nach der Unhintergehbarkeit subjektiver Wahrnehmung. Das Zusammenspiel von Glasobjekten und Malerei macht so die Erfahrung des Nicht-Übersetzbaren, des jeweils Eigenen, sichtbar.
Ein wiederkehrendes Prinzip in Zyllas Praxis ist die Wiederholung von Mustern und die Belebung von Objekten. Übergänge von Schwere zu Leichtigkeit, von Innen zu Außen, verschieben Relationen zwischen den Elementen und eröffnen neue strukturelle Zusammenhänge. Installationen erscheinen als fragile Gewebe, in denen Abdruck und Präsenz, Spur und Prozess ineinandergreifen. Malerei, Klang und Skulptur treten dabei weniger als getrennte Medien auf denn als temporäre Gefüge, die sich verändern und neu zusammensetzen.
Zylla entwickelt auf diese Weise Situationen, die den Raum nicht als Hintergrund begreifen, sondern als dynamisches Feld, das durch das Werk selbst in Bewegung gerät. Erinnerung, Wahrnehmung und Materialität bilden darin keine festen Kategorien, sondern fließende Übergänge.
Vita
Lina Zylla studierte Malerei und Bildhauerei in den Klassen von Günther Förg und Florian Pumhösl und schloss 2019 als Meisterschülerin in Freier Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München ab. Mit einem DAAD-Stipendium ging sie anschließend für ein künstlerisches Projekt nach Italien. Seitdem erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen und Projektförderungen, darunter von der Stiftung Kunstfonds, der Alexander Tutsek-Stiftung und der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung. 2023 war sie Stipendiatin des internationalen Fellowship-Programms des Oberpfälzer Künstlerhauses in Kooperation mit dem Virginia Center for the Creative Arts (VCCA) in den USA. 2024 folgte ein Fellowship im Atelierhaus Salzamt Linz über das Europäische Kunstforum des Bezirks Oberbayern für zeitgenössische Kunst. Ihre Arbeiten wurden in Ausstellungen in Berlin, Chemnitz, Istanbul, München und Venedig gezeigt. Derzeit lebt sie zwischen München (DE) und Gaino (IT), und arbeitet im städtischen Atelierhaus Baumstraße in München.
(Text: Henry Svelatore)